Mittwoch, 22. Dezember 2010

Mehr Arts für die Innenstadt

Aufruhr in Bochum. Wie einer berühmten regionalen Tageszeitung zu entnehmen ist, soll aus dem alten Telekomgebäude gegenüber des Rathauses das "Arts - Kunst & Kulturhaus" werden. Dass man im Ruhrgebiet leer gewordenen Flächen und Gebäude gern mit Kreativen, am liebsten Kreativwirtschaft, füllt, ist nichts neues. Nicht geklappt hat das zum Beispiel im Viktoria Quartier. Das neue Kunst & Kulturhaus soll seiner auf www.arts-bochum.de angedeuteten Bestimmung nach jedoch eher eine Art Bochumer Unperfekthaus werden. 100 Künstler werden gesucht, die dort Ateliers, Probe- oder "Ruheräume" anmieten bzw. anbieten. Verpflichtend sollen sie dort nämlich einmal die Woche Kunst schaffen, um auch einen Schauwert zu bilden. Ein erster angekündigter Termin ist die Ausstellung mit Hypnosebildmaler Harald K. Markus. Seine Werke konnten laut eigenen Angaben bisher bei folgenden Problemkomplexen helfen: "Selbstvertrauen stärken, manngeldes Selbstwertgefühl beseitigen, Leistungsdruck mindern, Ängste überwinden, Wohlfühlgewicht, Burnout, besser Golfen." Die Raummiete im neuen Arts-Haus soll "4,50,- Euro pro qm warm, incl. Strom als Staffelmiete betragen, d.h. es wird zweimal alle 4 Monate um 1,- Euro erhöht. Hinzu kommt eine kleine Pauschale für die von allen genutzten Bewegungsflächen (Flure, Sanitär, Küche)." Dem anfragenden Underground-Klangkünstler an Gitarre und Gesang wird außerdem mitgeteilt: "Bzgl. der Lautstärke sollten Kreative, die Ruhe benötigen separiert werden." Einer der vielen Haken an der Sache scheint zu sein, dass die treibende Künstlersammelkraft und Existenzgründerin Martina Murgia einen Vertrag mit ECE schließen muss, die an der Stelle wohl nur so lange ein Künstlerhaus dulden werden bis sie mit dem Bau eines 13stöckigen Einkaufszentrumkomplexes beginnen, der die Bochumer Innenstadt endgültig vernichten wird. (Dramatisierung) Der Kulturdezernent ist trotzdem glücklich.

Legende:
Der Begriff "Arts" stammt aus dem Niederländischen und bedeutet "Arzt".

Sonntag, 19. Dezember 2010

Das Ende

Um sich zu besinnen, was das Jahr über passiert ist, hätte man natürlich auch in den Keller gehen können. Oder aufs Klo. Stilvoller schien es jedoch, zur erneuten Eröffnung des Dortmunder U zu fahren. Wie an mehreren anderen Stellen im Ruhrgebiet wurde hier der Abschluss der Ruhr.2010 begangen. Ich rief also Karl an, ob er nicht mitkommen wollte.
"Morgen ist die Kulturhauptstadt vorbei", sagte Karl, "dann ist alles wieder ganz normal." 
"Jaja", entgegnete ich, "aber HEUTE: da wird der Abschluss gefeiert. Da müssen wir hin."
"Heute kann ich aber nicht. Lass uns doch morgen am U treffen, dann kann man das auch besser sehen, was das heißt: Kulturhauptstadt zu Ende."
Sonntag statt Samstag kamen wir also am Dortmunder Hauptbahnhof an, in dessen vorderem Bereich klägliche Renovierungsversuche unternommen worden waren.
"Alle Energie, die man für die Fertigstellung des U brauchte, hat man von hier abgezogen", erklärte Herr Wolf.
Herrn Wolf hatte Karl, der im Gegensatz zu mir sehr kontaktfreudig war, im Zug kennen gelernt. Nach eigenen Angaben war er ehemaliger stellvertretender Volkshochschulleiter der Stadt Dortmund und kannte sich noch gut mit den Strukturen aus. Immerhin sei er 1975 angetreten, "um sie von innen heraus aufzubrechen."
Obwohl ich sauer war, dass Herr Wolf die Zweisamkeit mit Karl störte und ihn das durch sehr grimmige Blicke auch spüren ließ, folgte er uns bis zum U. Beziehungsweise: Er ging voran und nahm schon alles vorweg. "Heute ist da nichts mehr zu sehen. Aber was gestern zu sehen war, ist eigentlich auch nur ein lärmendes Nichts gewesen. Genau wie die ganze Kulturhauptstadt."
Am U angekommen, war tatsächlich nichts mehr zu sehen.
"Da links hinter den Glastüren war bis gestern noch das Ruhr.2010-Visitorcenter", erklärte Herr Wolf. "Es ist allerdings erst im November fertig geworden und da es auch in keinem Werbeprospekt erwähnt war, haben sich in den vergangenen drei Wochen nur eher zufällig ein paar Passanten hinein verloren - und Touristen schon gar nicht." Wir blickten durch die Glasscheiben. Ein Besen lehnte an einem Holztisch.
"Hier rechts durch war der Eingang zum U", setzte Herr Wolf seine Führung fort. "Jetzt ist er wieder mit Sperrholz verrammelt, weil man gestern natürlich nur notdürftig geöffnet hatte. Obwohl Gefahr für Leib und Leben bestand: Überall offene Stromkabel." Die Rolltreppen seien auch ständig ausgefallen, wegen Kurzschluss. Trotzdem hätten sich die Menschen wie nichts gutes durch das Gebäude geschoben und ratlos auf die zeitgenössische Kunst geschaut. "Da haben die natürlich keine Ahnung von, denn wir sind ja hier im Ruhrgebiet und nicht in einer Metropole."
Karl und ich schauten uns an und verdrehten die Augen. Jetzt machte der ehemalige Volkslehrer auch noch das Metropolenfass auf. 
"Mit Bratwurst, Bier, Zuckerwatte und mittelmäßigen Tanzgruppen können die Menschen hier wesentlich mehr anfangen - und das gabs dann ja auch alles", sagte er. "Und ein gelber Luftballon wird mühelos als Kunst akzeptiert. Hier war gestern einer angebracht." Herr Wolf zeigte auf den Boden. "Obwohl hier weit und breit kein Schacht war. Höchstens für die U-Bahn!"
"Das war doch symbolisch", entgegnete Karl, dem es jetzt auch zu bunt wurde. "Um an eine der beliebtesten Kulturhauptstadtaktionen zu erinnern. Allein 20.000 Ehrenamtliche haben diese Luftballons gepflegt wie früher ihre Kaninchen."
"Ganz genau", fand Herr Wolf, "das ist rückwärtsgewandt. Alle sind im Sommer auf die Halden geklettert, haben die gelben Luftballons gesehen und gedacht: Ach, wie schön, was wir hier mal hatten. Und ein paar Tage später war dann alles wieder weg - so wie die Kohle schon seit Jahren. Und etwas Neues ist nie gekommen. Touristen schon gar nicht."
Karl und ich hatten langsam die Schnauze voll. Klar, wir wollten das Ende der Kulturhauptstadt sehen. Aber doch nicht so oberlehrerhaft defätistisch. Lieber hätten wir es mit etwas feiner Ironie gewürzt und am Ende mit einem Hoffnungsstrahl versehen gehabt. Aber das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Für uns Bochumer schon gar nicht.