Sonntag, 30. Januar 2011

Im Rausch

Ich könnte mich leicht damit abfinden, reich zu sein. In der Wellnesstherme fiel mir einst ein Paar auf: Sie blond, er schwarzhaarig. Beide unglaublich schön und elegant, eine gewisse Noblesse, feine Arroganz und wohldosierte Asozialität ausstrahlend. Selbst im Bademantel. Sie im kleinen Schwarzen und er in einer sicher sündhaft teuren Jeans bestiegen schließlich ein geschlossenes Cabriolet und fuhren heim. Nach Stiepel? Oder in ein kleines Anwesen, ein Familienschloss vielleicht, nahe Köln. Morgens fährt er "arbeiten" im Unternehmen ihres Vaters. Keiner weiß genaues über seinen Aufgabenbereich, er am allerwenigsten. Nach ein paar Stunden kommt er wieder nach Haus, schaut seiner Frau beim Reiten zu. Sie machen etwas Fitness, bestellen Mittag bei der Küchenmagd und unterhalten sich schließlich über machtvolle Belanglosigkeiten. "Wirklich, Rutger ist jetzt Sales Manager in New York? Naja, hier in Deutschland werden die Marktbedinungen ja auch immer schlechter. Lohnnebenkosten und so. Sagt auch dein Vater."
Das ist doch ein Leben! Und jetzt war ich selbst eingeladen bei reichen Leuten. Eine etwas andere Art allerdings: Sympathische Reiche, die mit ihrem Lions Club in arme Regionen fahren und soziales Engagement für wirklich wichtig erachten. Natürlich trifft man sich ab und an zum geheimen Wild essen, Wein trinken und Jazz hören. Mit verbundenen Augen werden meine Begleiterin und ich an einen unbekannten Ort gefahren, nach etwa zwanzig Minuten sind wir da. Stiepel? Der Raum ist schlicht, aber ungeheuer stilvoll eingerichtet. Und ebenso geschmückt. Nur Kerzenschein und sehr wenig indirektes Sparbirnenlicht beleuchten die langen Tischreihen. Die Pianistin ist ein junges rumänisches Talent, extra eingeflogen, und als sie ansetzt, ist klar: Das ist doch kein Jazz! Sie spielt Chopin und Debussy mit Temperament und einer ungeheuren Leidenschaft, dass der mittelmäßige Flügel knarzt und scheppert. Vor der Zugabe, zu der sie unübersehbar ansetzen will, unterbricht der Weinhändler: "Die Küche muss jetzt auftischen, sonst ist das Essen nicht mehr auf dem Punkt".
"In Deutschland immer alles perfekt organisiert!", moppert das junge Talent schwer beleidigt und zieht mit ihrem ebenfalls eingeflogenen Begleiter ab. Erstmal eine rauchen.
Der Weinhändler, ein Professor, beginnt derweil mit einem Syrah und bringt gleich eine Frankreich-Karte mit: Da und dort kommt der und der Wein her, der so und so gekeltert wird. Ganz ohne Chemie und streng nach dem Mondkalender. Das gefällt mir natürlich und ich lasse nachschenken. Nicht ahnend, dass das Nummer eins von zehn war. Zum Finale ein streng limitierter Weißer, nur hundert Flaschen werden pro Jahr hergestellt, heute für 55 Euro im Sonderangebot. "Uh", sagt meine Begleiterin angewidert, und schiebt das Glas herüber. "Trink du mal." Gern. Als immer neue Grundlagen werden Terrine von Hase und Reh, Essenz vom Fasan, Medaillons von Reh und Frischling und Pflaumen-Pumpernickel-Creme serviert. Spätestens bei Wein Nummer acht werden auch die über 70-Jährigen gesprächig, holen ihre iPhones hervor und googlen nach längst vergessenen Schlagersängerinnen. "Es gibt über 37.000 Apps", klärt mich der Ex-OB einer Ruhrgebietsgroßstadt auf, "da ist natürlich viel Spielerei."
Ich stimme ihm zu und lächele wissend, obwohl ich von iPhones selbstverständlich keine Ahnung habe. Dafür bin ich nämlich zu jung. Aber einige zehntausend sinnvolle Apps wird es doch sicher geben. Der Ex-OB ist aber schon bei einem anderen Thema: "Ich frage die Leute immer: Was kann man hier nicht, was man woanders kann? Sogar die Schweizer Ski-Nationalmannschaft kommt zum Trainieren nach Bottrop."
"Im Sommer", schränkt ein Sitznachbar ein.
Ich bin trotzdem schwer begeistert und rede mich mit dem ehemaligen Stadtoberhaupt in einen Rausch: "Es gibt absolut keinen Grund aus Bochum wegzuziehen, da stimme ich ihnen absolut zu. Das Kulturangebot! Die aufblühende Hochschullandschaft! Das viele Grün! Die Kneipen! Die Menschen! Nur ein Meer gibt es hier nicht und man kann nicht wandern."
"Alpines Wandern", schränkt der weise Mann ein.
Und er hat natürlich Recht: Sogar Wandern kann man in Bochum. Binnen zwei Stunden habe man jeden Auswärtigen von den Vorzügen der Stadt überzeugt, auf dieses Durchschnittstempo können wir uns einigen. Wir applaudieren dem Küchen- und Serviceteam, danken dem Weinprofessor, versuchen das rumänische Jazztalent zu einer weiteren Nummer aus ihrem Marlene-Dietrich-Programm zu überreden und beißen auf Granit. Wir betreten den heiligen Boden der Stadt Bochum. Jetzt sehenden Auges. Doch es ward geblendet vom Glanz selbst der Nacht. Jetzt erstmal Geld verdienen. Aber das, ausgerechnet!, ist ja nicht so leicht in Bochum.

Mittwoch, 26. Januar 2011

Ich blogge

Nein. Ich kann nicht behaupten, man hätte mich nicht gewarnt. Während ich in meiner schönen, ruhigen, innenstadtnahen Loftwohnung sitze und Hustinettenbären von Aldi mit Glenmorangie vom Scotch-Fachhändler herunterspüle, fallen mir die Worte des befreundeten Singer/Songwriters ein: "Hör auf meine Worte: Schreib auf gar keinen Fall einen Blog! Wie kommst du überhaupt auf so eine bescheuerte Idee? Das macht mich jetzt fast ein bisschen wütend!"
"Warum denn?"
"Weil das dann doch auch Leute lesen müssen."
"Naja, das MUSS ja keiner lesen."
"Aber du wirst natürlich all deinen Freunden von dem Blog erzählen und dann immer fragen, ob sie es gelesen haben und wenn nicht, dann bist du sauer. Dadurch fühlen sie sich verpflichtet, halten irgendwann den Druck nicht mehr aus und gehen dir schlussendlich aus dem Weg."
Der Singer/Songwriter hielt einen Blog also für eine Freunschaftsvernichtungsmaschine. "Außerdem", sagte er, "wird doch wahrlich schon genug geschrieben. Da ist jedes Wort, das ungeschrieben bleibt, ein Segen."
Da hatte er einen wunden Punkt getroffen: Exakt dieser Meinung war ich nämlich ungefähr auch. Aber ich wollte mich doch auch äußern, so ganz frei heraus. Zu Themen, die mir unter den Fingernägeln jucken.
"Das ist genau das Problem, Max", klärte mich Ulrich auf.
Ulrich ist eine echte Kapazität auf unglaublich vielen Gebieten. Deshalb zucke ich aus Gewohnheit immer erstmal zusammen, wenn er so etwas, wenn er irgendetwas sagt. Ich schlucke übertrieben laut, werde rot und kann vor Nervosität nicht mehr nachdenken. Sondern nur noch blöde Fragen stellen: "Äh, was ist das Problem?"
"Dass du denkst, du kannst da frei heraus schreiben. Wenn du willst, dass der Blog gelesen wird, musst du überall und mit jedem vernetzt sein, auf den wichtigen Blogs der Region verlinkt. Da müssen interessante Themen her, cool aufbereitet, irgendwie anders. Niemand darf sich langweilen, niemand auf den Schlips getreten fühlen. Einen Blog schreiben ist wie das Korsett noch enger schnallen. Und wen interessiert schon, was dir unter den Nägeln brennt? Ich würde dir stark davon abraten, überhaupt anzufangen! Mensch Max! Aber muss du wissen..."
Aber woher um alles in der Welt sollte ich das jetzt noch wissen? Mein Selbstvertrauen war dahin. Ich hatte Angst.
"Angst muss man sich immer stellen. Es gibt nämlich gar keine Angst. Zumindest nicht als etwas negatives", riet mir der Singer/Songwriter kryptisch. Innerhalb von nur sieben Tagen und Nächten kreierte ich also einen Blog, schrieb einen ersten Eintrag und holte Meinungen ein.
"Ist doch cool", fand ein Bekannter aus dem Theaterbereich. "Allerdings habe ich keine Ahnung, was ein Blog ist. Früher hätte man das Kurzgeschichte genannt."
"Du hast was??", fragte meine Mutter entgeistert.
"Ich habe mir eine Waschmaschine gekauft, damit ich endlich unabhängig bin", entgegnete ich. "Aber wie findest du meinen Blog?"
"Ja, ganz witzig, aber verstanden habe ich nichts."
Der Singer/Songwriter hatte ihn nicht gelesen. Ulrich schaute nur eine Zeitlang arrogant, als ich ihn darauf ansprach. Tommi und Sebi fragten mich, ob das denn wirklich so gewesen sei. Martina fand: "Schöner Text - aber so typisch." Und nur Karl, mein bester Freund auf Erden, ermutigte mich schließlich: "Worüber man sich früher unterhalten hat, blogt man heute. Und mit dir konnte ich mich immer gut unterhalten."
Ich machte also weiter. Entgegen aller Widerstände. Bloggen als Selbstbehauptung in einer feindlichen Umwelt. "Falls du an meiner ehrlichen Meinung interessiert bist", schreibt mir gerade Rolf im Facebook-Chat, "dein erster Eintrag war wirklich richtig gut, aber danach kam erstmal nichts. Wohl Ladehemmung. Und dann ging es ungebremst bergab." Ich mag den Winter.

Freitag, 21. Januar 2011

Herbert, Xavier, Philipp, Alin, Tom, Judith

Während ich Zuhause sitze und Wir sind Helden höre, auch so ein ganz wichtiger Leitstern in der deutschsprachigen Popmusik, denke ich an den vergangenen Abend. An Herbert Grönemeyer, Philipp Poisel, Xavier Naidoo, Alin Coen, Tom Liwa, Jochen Distelmeyer und heute völlig unbekannte Berliner Jazzer für 12 Mark. Was da alles zusammenkam, im Kultclub Zeche. Wenn die Nachwehen der beschwerliche Reise ins entfernte Weitmar endlich aus den Knochen weichen, wird klar, was hier zu erleben ist mit Auge und Ohr am Puls der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Popgeschichte. Auf der Bühne: Philipp Poisel, eine Entdeckung vom "berühmtesten Sohn unserer Stadt" (Zitat Durchschnittsbürger) Herbert Grönemeyer, verlegt auf dessen Label Grönland. Philipp Poisel hat einen Pathos wie Herbert, singt wie Xavier Naidoo, nur knödeliger und wenn er spricht, dann wie ein Marathonläufer bei Kilometer 39. "Der hat einen Atemfehler", vermutet meine Begleiterin Miriam. Beim Singen fällt das gar nicht weiter auf. Aber die Texte, auch wenn sie nicht den Höhepunkt der abendländischen Lyrik darstellen, kann er niemals selbst geschrieben haben. Er sagt nämlich Sätze wie: "Ich wollte immer ein Album machen, wo eine Aussage hat." Trotzdem hängen hunderte junger Frauen, ja, man möchte sie als Mädchen bezeichnen, an seinen Lippen, raunen braungebrannte Surferromantik durch den geschichtsträchtigen Saal und kneifen manchmal ihre Partner in den Hintern: "Kannst du nicht auch mal so süß sein, wie der?" Wenn irgendwann alles gleich klingt, ist genug Zeit, den Wandbehang zu studieren: Ein Zechenprogramm aus dem Jahr 1981. "Wolfgang Niedeckens BAP" spielen da für 8 Mark, ermäßigt 6. Ein Berliner Jazzprojekt (Ukundu Maluku?) hingegen kostet stattliche 18 Mark. Verkehrte Welt. Heute spielen BAP vor hundertausenden im Hyde Park, während es in Berlin gar keinen Jazz mehr gibt, sondern nur noch Techno und vereinzelt Songwriting. Im genialen Nebenraum malt schon die fleißige Vorband Plakate (CDs und Poster hier!!!). Warum der Nebenraum genial ist? Weil da auf einem Monitor und in guter Soundqualität das Konzert zu verfolgen ist und man dabei Kickern kann. Wer die Vorband ist? Alin Coen aus Weimar, die eigentlich mal ein Album mit Tom Liwa aufnehmen wollte, jetzt aber mit Band beim Label "Pflanz einen Baum" gelandet ist. "Es gibt nur noch Illuminaten oder liebenswerte Spinner im Biz", findet Tom per SMS. Und Alin erklärt: "'Pflanz einen Baum' war so ein Metal-Core-Hit von uns", und grunzt es mir ins Ohr: "PFLANZ! EINEN! BAUM!". Ja, liebenswerte Spinner. Wie hab ich nochmal angefangen? Achja: Wir sind Helden. Die Platte ist jetzt zu Ende. Neues Best-of-Album heißt "Tausend Wirre Worte" enthält wirklich Hits Hits Hits. Muss jetzt aber zum Schluss kommen. Fehlerkorrektur und lustige Links folgen demnächst. Danke.