Er schimmert metallisch-silbern, rostrot und gelb in der
Nachmittagssonne, sein Inhalt scheint sich von den Ufern leicht nach oben zu
wölben. Ein Quecksilbersee, denke ich, der Schatz im Quecksilbersee. Natürlich
ist das nur ein Hirngespinst, geboren aus einem seltsamen Spiel der
Lichtreflektionen auf dem Wasser. Das wird ja wohl Wasser sein, ein ganz
normaler See. Aber wie soll ich mir sicher sein nach einer Reise, bei der sich
Realität und Fiktion so sehr verschränkten? Das kroatische Tourismusbüro in
Frankfurt hat Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz geladen,
in Kroatien Original-Drehorte der Winnetou-Filme aus den 60er-Jahren zu
besuchen. Nahe der Stadt Starigrad, an den Krka-Wasserfällen, an Schluchten und
Felsenkämmen des Velebit-Gebirges.
Ich habe diese Filme im Fernsehen gesehen als ich ein Kind
war und erinnere mich, dass meine Eltern und Großeltern dabei ein Leuchten in
den Augen hatten. Ich erinnere mich, wie ich mindestens einen Winnetou-Teil bei
dieser Familie in Dillenburg geschaut habe, die wir auf einer Freizeit bei den
streng christlichen „Rufern“ im Harz kennen gelernt haben. Sie hatten einen blonden
Jungen, der etwas jünger war als ich und mit dem ich vorher Cowboy und Cowboy
(wer wollte schon Indianer sein?) an der Burgruine gespielt habe. Sein Vater
schaute danach Winnetou mit uns und zelebrierte den Fernseh-Nachmittag wie eine
Andacht. Heute macht das für mich Sinn: Pierre Brice in der Rolle des Indianer-Häuptlings
ist natürlich auch eine Erlöser-Figur. Jesus im Federkleid. Wie ich mich selbst
beim Schauen dieser Filme gefühlt habe, weiß ich nicht mehr genau. Vielleicht
ist meine Generation schon zu spät dran gewesen für ihren Zauber. Ich glaube,
ich war traurig, als Winnetou am Ende des dritten Teils starb und vor einer eindrucksvollen
Gebirgs-Kulisse aufgebahrt lag. Hat Old Shatterhand an seiner Seite geweint?
Oder diverse Frauen-Figuren? Meine Oma, die eigentlich nie geweint hat, sondern
nach außen immer Härte und Abgeklärtheit demonstriert?
„Pierre Brice hatte tausend Frauen um sich“, erzählt Gordana
Zeitz, die 1964 in einem Dorf nahe Starigrad gewohnt hat. 16-jährig wurde sie
auf der Straße angesprochen und für die Dreharbeiten von „Old Shatterhand“
engagiert. Die dunkelhaarige Schönheit hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit
Daliah Lavi und sollte die Schauspielerin bei einem Sprung ins Wasser doubeln, an
den Krka-Wasserfällen. Das war nicht ganz ungefährlich, deshalb testete ein
richtiger Stuntman den Sprung und kam unverletzt wieder raus. Dass sie nackt
springen sollte, erfuhr die heute 69-Jährige erst, als sie schon an der Stelle
stand, wo der Fluss über den Abgrund stürzt, und strich notdürftig die Haare
über ihre Brüste. Bei der ersten Aufführung des Films in Starigrad bat sie den
Filmvorführer, die Szene rauszuschneiden. Netflix war noch nicht erfunden. Die
Familie bekam es später trotzdem heraus und vom Bruder gab es eine schallende
Ohrfeige. Von den Fans hingegen Nachruhm bis heute. „Pierre Brice wollte meine
Hotel-Zimmernummer wissen“, erinnert sich Gordana an die Dreharbeiten. „Ich
krieg sie schon raus“, sagte er, als sie sich zierte. Vor dem Schlafengehen
schob sie Tische und Stühle vor die Tür, aber der französische Filmstar
vergnügte sich offenbar eh lieber mit einer anderen.
Gordana erzählte uns diese Geschichte an den dunklen Natur-Holztischen in einem Biergarten des Krka-Nationalparks. Es ist ein wenig verrückt, sie im Kopf zu haben während Hella Brice, Pierres Witwe, oben im zugigen Velebit-Gebirge eine Gedenktafel für ihren 2015 verstorbenen Mann enthüllt: „Ich danke Gott“ beginnt sie ihre Ansprache. Sie dankt für die Zeit mit Pierre, dem Friedensstifter. Er, der die Menschen zusammenführen wollte, für den alle gleich waren: Ob dunkel- oder hellhäutig, stark oder schwach. Nicht nur seine Rolle war Jesus, er selbst war es offenbar auch. Aber vielleicht, denke ich, war ihm eine bestimmte Sorte Mensch aber doch ein bisschen gleicher: die jungen und weiblichen.
Gordana erzählte uns diese Geschichte an den dunklen Natur-Holztischen in einem Biergarten des Krka-Nationalparks. Es ist ein wenig verrückt, sie im Kopf zu haben während Hella Brice, Pierres Witwe, oben im zugigen Velebit-Gebirge eine Gedenktafel für ihren 2015 verstorbenen Mann enthüllt: „Ich danke Gott“ beginnt sie ihre Ansprache. Sie dankt für die Zeit mit Pierre, dem Friedensstifter. Er, der die Menschen zusammenführen wollte, für den alle gleich waren: Ob dunkel- oder hellhäutig, stark oder schwach. Nicht nur seine Rolle war Jesus, er selbst war es offenbar auch. Aber vielleicht, denke ich, war ihm eine bestimmte Sorte Mensch aber doch ein bisschen gleicher: die jungen und weiblichen.
Mit dieser Sorte Zynismus dürfte ich Ulrich natürlich nicht
kommen. Ulrich Wirsing, sein Team und seine Gäste sind die eigentliche
Geschichte dieser Pressereise. Eine Geschichte, die gestandene Männer wie den
Wiener Journalisten Axel Halbhuber (der von der Statur her mindestens eines
Anderthalbhubers würdig wäre), fassungslos macht: „Ich kann das nicht mehr, ich
muss hier raus, ich muss drüber redn.“ Mit diesen Worten verlässt Halbhuber die
Filmvorführung der Winnetou-Fangemeinde, die sich in unserer Absteige, dem
Bluesun Hotel Alan, versammelt hat, um ein Jubiläum zu feiern: 50 Jahre
„Winnetou und das Halbblut Apanachi“. Seit 2012 treffen sie sich hier und
begehen die Jubiläen der berühmten klassischen Karl-May-Verfilmungen des
Produzenten Horst Wendlandt. Sie besuchen Drehorte, screenen die Streifen an
besonders eindrucksvollen Natur-Schauplätzen und laden prominente Gäste ein:
Pierre Brice war schon da, aber auch Stars vom Rang „Sohn des
Kamera-Assistenten“.
Dieses Jahr will die Winnetou-Convention den Durchbruch
schaffen, die Schallmauer von der Liebhaber-Veranstaltung zur Professionalität
durchbrechen. Uschi Glas wird erwartet. Und Martin Böttcher, heute 89 Jahre
alt, der die berühmte Filmmusik komponiert hat: Eine dicke Streicher-Sauce, die
im Gehirn einfach kleben bleibt. Man ist ihr hilflos ausgeliefert. So wie wir
Journalisten der Filmvorführung im nicht besonders charmanten
Veranstaltungssaal des Bluesun Hotels. Darauf konnten wir uns nicht vorbereiten.
Der Film ist eine 45-minütige „Dokumentation“ des Winnetou-Festes 2015. Rolf,
der Medienmann im Team, hat sie selbst geschnitten und vertont. Sie zeigt die
Fans beim Sektempfang am Pool und bei Location-Begehungen. In einer
historischen Altstadt haben sie die Fassade einer Kneipe gefunden, vor der Lex
Barker als Old Shatterhand in Schwierigkeiten gerät. Hier bietet Rolf seine
ganze Kunst auf und verschneidet die Original-Kampfszene (gute Kontakte zum
Filmverleih scheinen vorhanden) mit dem gegenwärtigen Bild. Und da erlaubt er
sich sogar einen erratischen, selbstironischen Kommentar aus dem Off:
„Fasziniert betrachten wir eine Kerbe im Stein, die auch im Film zu sehen ist.
Wir sind schon ein verrückter Haufen, oder?“ Axel Halbhuber schaltet auf
Schnappatmung.
In den nächsten Szenen sind die Gäste des Winnetou-Festes des
vergangenen Jahres zu sehen: Der steinalte Rik Battaglia erscheint in einem
etwas verbeulten Anzug, mit Stock, Hut und Sonnenbrille auf der Veranda einer
Villa, die natürlich Drehort war. Applaus brandet auf. Und zwar nicht nur auf
der Leinwand und über die Lautsprecher, sondern auch hier und jetzt, im Juni
2016 im Veranstaltungssaal des Bluesun Hotels. Sogar der Sohn des
Kamera-Assistenten wird noch einmal nachträglich bestärkend beklatscht, als er
in der Doku auf eben der Bühne sitzt, auf der jetzt der Digital-Film läuft, und
eine alte Film-Rolle in den Händen bewegt: „Wir musste aufpassen, dass sie sich
vor dem Belichten nicht entrollt“, sagt der Nachgeborene bedeutend. „Das ist
Shakespeare“, sinniere ich später beim Reflexions-Bier am Pool in Richtung Axel
Halbhubers. „Das ist Shakespeare“, wiederholt er zustimmend. „Sie haben ja
nicht nur die Gäste vom letzten Jahr beklatscht. Im Film waren sogar
Ausschnitte des Dokumentarfilms zu sehen, der letztes Jahr gezeigt wurde.“
–„Der war aber auch toll“, entgegne ich begeistert, „es gab
Original-Ausschnitte aus den Dreharbeiten zu sehen.“
Halbhuber fummelt wild an seinem Handy
herum. „Ich muss etwas über diesen Ulrich Wirsing erfahren!“ Aus der Doku über
die letztjährige Convention wissen wir, dass Ulrich ein selbstgesticktes
Winnetou-Kostüm in den Originalmaßen besitzt. Darin hat er sich am
Original-Schauplatz auf die Original-Totenbahre gelegt und alle 120
Winnetou-Fans aus zwölf Nationen durften einmal original wie Lex Barker daneben
stehen und ein Foto machen. Auf mich wirkte das wie eine quasi religiöse Szene.
Doch wer wird hier in erster Linie verehrt? Eine fiktive Figur? Ein Frieden
stiftender Indianer, den ein Mann erdacht hat, der in seinem Leben niemals in
Amerika war? Oder sein Nachahmer Ulrich Wirsing, der in den Augen mancher
vielleicht zum charismatischen Anführer einer Bewegung taugt? Der 52-Jährige
ist immerhin im Besitz von Reliquien: Durch seinen guten Kontakt zu Hella Brice
kam er zum Beispiel an die Lieblingsjacke ihres Mannes. „Auf meine Bitte hin
hat sie sie noch eine Nacht in Pierres Pariser Zimmer gehängt“, wird er uns
später im Interview erzählen.
„Ullitou!“, ruft Halbhuber aus und erstickt an einem Lachanfall. „Schau dir das an!“ Er zeigt mir sein Display und
ich sehe ein Foto, das einer berühmten Aufnahme von Pierre Brice als Winnetou
nachempfunden ist. Nur, dass hier eben Ulrich Wirsing Indianer-Perücke und
Leder-Kluft trägt und etwas verkniffen in eine unbestimmte Ferne blickt. „Nicht
zu fassen“, sage ich schwer beeindruckt. Und beobachte aus den Augenwinkeln wie
sich am Nebentisch ein Mann erhebt. Er kommt auf uns zu. „Sind sie die
Journalisten?“, fragt er wissend. „Wir sind Journalisten“, antwortet Halbhuber
nach Luft ringend. „Ich bin Sandro“, stellt der Fremde sich vor, „vielleicht
haben Sie mich gerade im Film gesehen.“ –„Ja, Sie sind der Mitorganisator!“,
ruft Halbhuber erfreut aus. „Ich war der Mitorganisator“, sagt Sandro. „Man hat
mich gerade des Saals verwiesen.“ Blutsbrüder seien Ulrich und er gewesen. Sie
haben sich wirklich vor Jahren die Haut aufgeschlitzt – die Organisation
kultischer Fest schweißt offenbar wortwörtlich zusammen. „Im Laufe des letzten
Jahres waren wir uns uneinig“, erzählt Sandro gespielt nüchtern, „über die
Richtung, die das Ganze nehmen soll.“ –
„Sandro wollte nicht, dass das Fest auf eine ganze Woche
ausgeweitet wird“, erzählt uns Ulrich Wirsing später beim Interview. Der neue Mitorganisator
Marc, der sicher mal Türsteher war, geht harsch dazwischen und wechselt das
Thema. Das ist Shakespeare, denke ich, als mir die Szene in der Maschine nach
Hause wieder einfällt – und blicke auf den Quecksilbersee. Der ist eher Isaac
Asimov. Back to the future, ist mir irgendwie auch
lieber.