Donnerstag, 3. Februar 2011

Das Interview

Die können Kunst. Außerdem verkaufen sie eine ganze Pommesschale voll Sushi für 2,50 Euro. Ich bin gerne hier. Mit Heerscharen von Münsteraner Studierenden, die sich die unprätentiös präsentierte Kunst ihrer Kommilitonen anschauen. Und kann mich gar nicht entscheiden, was ich am liebsten mag: Die Hasenportraits im Stile alter Meister, die scheinbar achtlos zwischen Veranstaltungsplakaten hängen? Den Kubus, den man durch zwei Schleusen betritt, um dann mit fremden Menschen im Dunkeln zu stehen? Den formierten Schrotthaufen der irren Klasse des verrückten Professors Buetti? Sofas, Küchenherde, Stühle, Tische, Fernseher, Mikrowellen, Bücher, CDs und - wo noch Platz ist - Bierflaschen von Besuchern stapeln sich da zu einem deckenhohen und raumfüllenden Würfel. Ein megalomanisches und absolut einleuchtendes Kunstwerk. Da ich jedoch vermute, dass es der ein oder andere von euch nicht verstehen wird, werde ich es in einem der folgenden Einträge ausführlich erklären. Am Ende des etwa dreieinhalbstündigen Rundgangs (mit Pause), vorbei an 250 Exponaten der jungen Talente, bleibe ich an einem hängen: Helene Hanke (23) hat gleich zwei Wände vollfotografiert. Das Motiv: Sie selbst, 730 mal, zwei Jahre lang, jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen. Klare Kiste: Ich lade Sie zum ersten Interview in der jungen Geschichte des goldenen Westens.

Der goldene Westen: Frau Hanke, haben sie auch geblitzt?
Hanke: Ja, das gehörte zu meinem ästhetischen Konzept dazu. Die Bilder sollten wie typische Schnappschüsse mit einer billigen Kamera aussehen, die man zum Beispiel bei Saturn in Münster für 69 Euro hinterhergeschmissen bekommt und sich aber trotzdem von den Eltern kaufen lassen muss, weil die Studiengebühren so hoch sind. Aber warum fragen Sie?
Der goldene Westen: Weil das doch bestimmt sehr hell ist, so früh am Morgen...
Hanke: Ja, natürlich. Das tut richtig weh in den Augen. Aber es ist eine so schonungslos ehrliche und direkte Art des Selbstportraits. Vor diesem Blitz kann man nichts verbergen. Schlaf in den Augen, Schminkereste, Schweiß, Tränen, dunkle Ringe, Pickel, Wunden. Aber auch echtes Glück fangen diese Fotos ein: Wenn man in Anbetracht dieses brutalen Ritschratschkamerablitzes seelig lächelt, dann ist das tief empfunden und kaum anzuzweifeln.
Der goldene Westen: Sie haben scheinbar keinen Freund?
Hanke: Irgendwie mag ich Ihre Art zu fragen nicht und ich mag sie doch. Sie ist so schonungslos und direkt wie meine Aufnahmen. Aber ich verstehe nicht ganz...
Der goldene Westen: Naja, weil da nur zwei oder dreimal jemand neben ihnen liegt.
Hanke: Mein Freund war sehr skeptisch, als er von dem Projekt erfahren hat. Er sah darin eine gefährliche Mischung aus Egozentrismus und Selbstausbeutung. Als ich ihm dann auch noch von dem Blitz erzählte, hat er sich sofort getrennt. Er ist jetzt mit einer Hörbuchautorin liiert.
Der goldene Westen: Das klingt ja absurd.
Hanke: Ist es auch. Aber das mochte ich. Zwei Jahre lang habe ich die Männer mit meiner Kamera verschreckt, Freunde haben sich von mir abgewendet. Und erst heute, am Eröffnungstag dieser Ausstellung, kann ich meine triumphal richtige Entscheidung voll auskosten: Ich habe 35 Creditpoints bekommen!

Wir fassen also zusammen: Eine schöne Arbeit und eine interessante Persönlichkeit. Die mit großem Abstand beste Arbeit jedoch war ein mit Studierenden bestückter Bierautomat. Er hat wirklich ganz außergewöhnliche, unmöglich zu beschreibende Geräusche von sich gegeben. Und der dazugehörige Bierplan - eine Wucht!


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