Dienstag, 1. Februar 2011

Unerhört

Schon während des Essens ärgerte ich mich, dass ich niemals würde adäquat aufschreiben können, wie schlecht es wirklich war. Wo anfangen? Bei den Kartoffeln vielleicht. Nein, erstmal die Fakten: Essen gewesen bei Al Minero, dem Tapas-Laden mit der anmaßenden Internetadresse spanier-bochum.de. Als ob das irgendwie eine klare Sache sei: Der Spanier in Bochum ist Al Minero. Von wegen. In fußläufiger Entfernung gibt es das Tapas, Coco Loco und Una Mas. Das Gaudi ist wohl leider dicht. Allen dreien gebührte der Titel eine Weltenlänge mehr. Warum? Weil sie kein Tapas-Buffet des Grauens anbieten. Fangen wir bei den Kartoffeln an: Sie waren zu haben als verschrumpelte Ex-Ofenkartoffeln mit kilometerdicker Salzkruste, teilweise weniger als halbgar in einem Kartoffelsalat, den schon in den 90er Jahren jede Studenten-WG abgelehnt hätte. Und teilweise als Tortilla-Häppchen an Zahnstochern, direkt aus der seit dem Einkauf im Großmarkt nicht unterbrochenen Kühlkette. Kalt waren auch die Hackfleischbrocken in Tomatenpampe, das Hähnchen in einer Art Currysauce (indisch?), die zu einem bräunlichen Matsch zerfallenen, undefinierbaren Meeresfrüchte und - die Tomatensuppe. Mein Vater und ich rätselten kurz, ob wir es hier mit einer Gazpacho zu tun hätten. Dafür war die Suppe dann allerdings doch zu warm. Als Nachtisch standen zwei Tüten-Vlas in kalkblinden, schmucklosen Glasschüsseln bereit. Als die Kellnerin sich nach unserem Wohlbefinden erkundigte, deutete ich meinem Vater ein kurzes Kopfnicken an und er begann: "Naja, wir sind nicht wirklich zufrieden."
"Eigentlich überhaupt nicht zufrieden", spitzte ich zu
"Das ist ja alles kalt", erklärte mein Vater, "und außerdem im Prinzip geschmacksfrei. Ich frage mich außerdem, was ein Kartoffelsalat und gefüllte Eier mit Tapas zu tun haben. Das ist eher so 50er Jahre Deutschland."
"Dafür aber deutlich zu wenig Wirtschaftswunder", ergänzte ich, um die Situation ein wenig aufzulockern.
Die Kellnerin lächelte verlegen und machte merkwürdige Brumm- und Pfeifgeräusche.
"Wissen Sie", erklärte mein Vater höflich, "Ihr Restaurant wurde mir von meinem Bruder aus Lübeck empfohlen, Er hat sich am Tapas-Buffet-Tag hierher verlaufen und das Lokal unter Begeisterungsstürmen und drängend wieder verlassen. Es drängte ihn, alle Welt hierher zu schicken. Für mich lässt das nur einen Rückschluss zu: Die gastronomische Situation in Lübeck muss desolat sein. Und da fällt mir ein: Zu seinem Geburtstag lädt er nach Hamburg in eine Currywurstbude, die angeblich unglaublich deliziöse und höchst innovative Dinge mit der Wurst anstellt. Gott behüte, dass er da ähnlich falsch liegt! Die Rechnung bitte."
Wie freuten wir uns da: Sicher würden wir nun eingeladen und unter devoten Entschuldigungs-Verbeugungen der gesamten Küchencrew aus dem Laden geleitet. Doch alles kam unerhört anders.

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